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Von Fehlstarts und anderen oft ungeahnten Hindernissen in der M&A-Transaktion – Was auch in der Krise wichtig bleibt

Gun Jumping steht weiter im Fokus der Kartellbehörden. Die jüngere Entscheidungspraxis macht deutlich, dass die Europäische Kommission und viele nationale Kartellbehörden, zuletzt in Österreich, auch bereit sind, erhebliche Maßnahmen zur Durchsetzung des Vollzugsverbots zu ergreifen. Die Entscheidungen zeigen, dass Unternehmen die Fusionskontrolle und das damit verbundene Vollzugsverbot unter allen Umständen ernst nehmen sollten – selbst wenn es in Krisensituationen, wie z.B. am Rande einer Insolvenz, zuweil schwer zu vermitteln ist.

Bekanntlich prüft die zuständige Wettbewerbsbehörde, ob durch einen Unternehmenszusammenschluss wirksamer Wettbewerb behindert wird, sofern die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen überschreiten. Um das Vorhaben vor etwaigen Wettbewerbsauswirkungen hinreichend behördlich prüfen zu können, gilt dabei für eine gewisse Frist ein Vollzugsverbot, sodass der Zusammenschluss erst nach Fristablauf und/oder Freigabe der Wettbewerbsbehörde vollzogen werden darf. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot (sog. Gun Jumping) kann mit erheblichen Bußgeldern gegen die beteiligten Unternehmen geahndet werden.

Als Zusammenschluss gilt dabei der Anteils- oder Kontrollerwerb über ein Unternehmen. Unter bestimmten Umständen kann aber auch die Übernahme von hochqualifizierten Mitarbeitenden zusammen mit Begleitvereinbarungen zur Finanzierung und Verwendung von Schutzrechten (sogenannte Acqui-hires: Übergang des wettbewerblichen Potentials von speziellem Know-how) oder die Übernahme eines Ladengeschäfts vom Wettbewerber als anmeldepflichtiger Zusammenschluss zu werten sein.

Übernahme eines Ladengeschäfts im österreichischen LEH
So hat zuletzt die österreichische Wettbewerbsbehörde BWB ein Bußgeld in Höhe von EUR 1,5 Mio. verhängt, weil die REWE Group International die Übernahme eines Lebensmittelhandels in einem Einkaufszentrum nicht der Kartellbehörde gemeldet und dennoch durchgeführt hatte. In der Folge war die nachträglich angemeldete Übernahme des Lebensmittelgeschäfts zwar freigegeben worden. Der von REWE angerufene österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) bestätigte die Entscheidung der BWB über den Formalfehler jedoch und verfünfzigfachte beinah die Strafe aus präventiven Gründen auf rund EUR 70 Mio.

Auch Verhaltensklauseln als Gun Jumping möglich
Auch in verschiedenen anderen Entscheidungen ahndeten Wettbewerbsbehörden Verstöße gegen das Vollzugsverbot. So hatte am Jahresanfang das U.S. Department of Justice (DOJ) einen Rekordvergleich über USD 5,6 Mio. wegen eines solchen Verstoßes mit den beteiligten Unternehmen abgeschlossen. Hintergrund waren verschiedene Verhaltenspflichten des Zielunternehmens im Unternehmenskaufvertrag, die aufgrund Einflussnahme des Erwerbers gegen das Vollzugsverbot verstoßen haben sollen: Das Zielunternehmen sollte ohne ausdrückliche Zustimmung der Erwerber keine Maßnahmen mit einem Kostenvolumen von mehr als USD 250.000 ergreifen und keine weiteren Aktivitäten in ihrem Kerngeschäftsgebiet durchführen, ohne dass die Erwerber diese ausdrücklich genehmigt haben. Im Gegenzug übernahmen die Erwerber die finanzielle Verantwortung, falls das Zielunternehmen möglicherweise Kundenvorgaben nicht erfülle.

In Deutschland hat das Bundeskartellamt in der Vergangenheit verschiedene Vorwürfe von Gun Jumping verfolgt. Soweit ersichtlich, hat es dabei bislang jedoch von derartig drastischen Geldbußen wie auf Europäischer Ebene oder im (EU-) Ausland abgesehen.

Wann sind Ausnahmen vom Vollzugsverbot in der Krise möglich?
Die Fusionskontrollpflicht und das damit verbundene Vollzugsverbot gilt – unter den entsprechenden Voraussetzungen – auch in Krisensituationen wie im Fall der drohenden Insolvenz des Zielunternehmens. Zwar gibt es Möglichkeiten, eine Ausnahme vom Vollzugsverbot zu beantragen. Die Anforderungen sind hierfür sind jedoch hoch. Die Europäische Kommission kann eine Ausnahme nach Art. 7 Abs. 3 FKVO nur gewähren, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  • Ernste Gefahr eines Schadens: Das Abwarten der Genehmigung muss erhebliche Nachteile für die Beteiligten oder Dritte mit sich bringen.

  • Keine prima facie wettbewerbsrechtlichen Bedenken: Die Transaktion darf nicht auf den ersten Blick wettbewerbsrechtliche Bedenken aufwerfen.

Selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, beschränkt die Kommission die Ausnahme in der Regel auf die notwendigsten Schritte, um die Schäden zu minimieren; es darf nicht automatisch die gesamte Transaktion vollzogen werden.

Auch ein Blick in die Anwendungspraxis belegt, dass die Europäische Kommission, aber auch nationale Wettbewerbsbehörden wie das Bundeskartellamt, in der Vergangenheit Ausnahmegenehmigungen aufgrund außergewöhnlicher Umstände nur sehr restriktiv gegeben haben. So werden auf der Webseite der EU Kommission seit 2004 nur 52 bewilligte Genehmigungen nach Art. 7 (3) FKVO gelistet.

Fazit
Die Fusionskontrolle mit ihren üblicherweise formalistischen Aufgreifkriterien greift häufiger und auch frühzeitiger ein als zum Teil landläufig angenommen. Dies kann nicht zuletzt in wirtschaftlich dramatisch angespannten Situationen unterschätzt werden. Auch wenn gerade in Restrukturierungssituationen bestimmte Ausnahmeregelungen mit Blick auf die Fusionskontrollvorgaben greifen, ist eine frühzeitige – formell hinreichende – Befassung mit den diesbezüglichen Herausforderungen essentiell, nicht zuletzt um die Wettbewerbsbehörde früh genug vom Erfordernis einer entsprechenden Ausnahme überzeugen zu können. Angesichts der jüngeren Entscheidungspraxis ist nicht auszuschließen, dass auch das Bundeskartellamt in Zukunft härtere Sanktionsmaßnahmen ergreift.

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